Es gibt Bücher, die erst funktionieren, wenn man sie gedruckt in Händen hält. Zu denen gehören unbedingt alle, die der Berliner Künstler Atak illustriert hat.
Unsterblich geworden ist er für mich spätestens 2002 mit „Atak vs. Ahne„. Ein wildes Spiel aus Typografie, Ornamenten, Zeichnung, Collage und Malerei, zusammengehalten durch die absurd-komischen Texte von Ahne und das längliche Format von Comic-Strips in Tageszeitungen. Dreht man „Atak vs. Ahne“ falsch herum und blättert durch die Rückseiten, fällt man peng! unvermittelt in ein tintenblaues Paralleluniversum mit Rehen, Superhelden und einem Boxkampf. Ein Buch wie eine Punkrockband. Allerdings eine, die ihre Instrumente beherrscht. Seither freue ich mich jedes Mal, wenn ich den Arbeiten von Atak begegne. Ich erkenne sie von weitem schon an ihren Farben, den ungestümen Zeichnungen und beharre darauf, sie als Papierbuch zu kaufen. Weil ich das anfassen kann. Und umdrehen.
Ganz anders als in meiner Erinnerung sieht Mark Twains „Der geheimnisvolle Fremde“ mit den Illustrationen von Atak sinnlich und märchenhaft aus. Darin findet sich auch das erste Mal die verschwenderische Fülle der Landschaft, die mir an seinem neuen Buch „Der Garten“ so gefällt. Wo der Garten in dem Mark-Twain-Buch Andeutung oder Hintergrund bleibt, bekommt er nun endlich Platz und eine Hauptrolle.
Ich saß als Kind gerne im Garten meiner Urgroßmutter. Altmodische Blumen standen darin, großblütig und leuchtend. Von den meisten weiß ich die Namen nicht, gewiss waren Pfingstrosen, Mohn und Nelken darunter. Dunkelblaue Weintrauben wanden sich bis unter die Dachrinne der Laube. Ein Dickicht aus Himbeersträuchern. Klaräpfel und schwarze Kirschen. Zwar hat meine Urgroßmutter mit strenger Hand Beete und Wege angelegt, allein die Pflanzen hielten sich nicht daran. Immer sah der Garten aus, als wollte er über seine Ufer treten. Ich bin morgens darin verschwunden und erst mit der Abenddämmerung wieder aufgetaucht.
Genau so ist dieses Buch. Ein prachtvoller Garten, den ich staunend durchstreife, den Mund halb geöffnet. Sachte berühren meine Fingerkuppen eine geschlossene Blüte. Ich atme einen Sommermorgen ein. Ich wandere einen schmalen Pfad entlang, Gestrüpp zu beiden Seiten, sammle Hasel- und Walnüssen in meine Jackentasche. Die Luft wird dünner und kühler. Und dann ist das Jahr zu Ende, denn Zeit vergeht. Die Christrose blüht, die Tanne trägt Schnee. Der Garten aber vergeht nicht. Er schläft nur in der Winterstille.
Mein aufmerksames Kind sieht mir beim Umblättern zu. Es betrachtet jede einzelne Blume auf dem Vorsatzpapier und entdeckt dort ein Eichhörnchen. Später zeigt mir das Kind eine Eule, einen Eichelhäher, ein Kaninchen und einen Buntspecht. Eine Schaukel, die quietscht. Ein fetter, grüner Frosch springt aus dem Teich. Eine Frau, die badet, wie das Kind glaubt. Eine Katze zum streicheln. Da, ein Baum, auf den man klettern kann! Es ist, als hätte er Buch umgedreht und die andere, die zweite, die laute Geschichte gefunden. Spätestens jetzt hätte ich ohne Blick auf den Umschlag gewusst: Das Buch hat Atak gemacht.
Atak: „Der Garten“ erschien 2013 im Kunstmann Verlag. Für alle, die den Sommer noch ein bißchen festhalten wollen. Und für ihre Kinder.