Der Rhabarber hat die Angewohnheit, sich über den Winter komplett in die Erde zurückzuziehen. Wer wie ich einen kleinen Garten hat, in dem alles kreuz und quer durcheinander steht, läuft Gefahr, ihn im Frühjahr versehentlich mit der Hacke zu erwischen. (So habe ich seinerzeit meinen Rhabarber in den Pflanzenbeständen meiner Gartenvorgängerin gefunden: Beim Umgraben, und es ist Zufall, dass er überlebt hat.) Deshalb habe ich mir vom Kronsohn, der gerade begeistert töpfern geht, ein Schild gewünscht. Für Kräuter, die die ganze Zeit zu sehen sind, gibt es sowas ja. Überraschender Weise hat er sich das gemerkt, und heute kam er ganz stolz damit rum. Das war wie Weihnachten. Bloß viel schöner!
Vogelfrühstück.
Die Stunde der Wintervögel habe ich verpasst. Erst war es noch zu dunkel, dann war ich rodeln, dann war es schon zu dunkel. Dafür stelle ich den Piepmätzen jeden Tag Frühstück hin. Ist ja auch was.
Alles raus, was Flieder ist!
Ich hadere mit dem Flieder, seit ich den Garten habe. Immer war er im Weg, ich habe mir den Kopf dran gestoßen, bin mit Ärmeln hängen geblieben und kam mit dem Rasenmäher nicht drum herum. Er war aber auch die Stelle im Garten, an der der Kronsohn im Stehen zu pinkeln gelernt hat, wo man schnell mal die Harke abgestellt hat oder wo die Gartentonne hing. Jetzt ist der Flieder weg. Ausgegraben. Abgesägt. Jetzt kann des Kronsohns kleiner Kirschbaum groß werden, und ich wäre bereit für eine Hollywoodschaukel.
Gartenlogbuch Oktober.
Einmal kurz nicht da gewesen, schon ist der Garten, den ich grün verlassen habe, an allen möglichen Stellen gelb, orange, pink und braun geworden. Außer die Kugeldistel, die hat sich schnell noch ein paar neue, stachelige Blätter wachsen lassen. Und wann mir dieser Brokkoli gewachsen ist, weiß ich auch nicht. Ich kann mich nicht einmal erinnern, Brokkoli gepflanzt zu haben.
Die Abwesenheit von Gärten.
Ich wohne ungern in Hotels, wenn ich länger bleibe. Selbst wenn ich kürzer bleibe – mir sind Ferienwohnungen lieber. Dadurch sehe ich mehr Küchen als Speisesäle, habe aber immer vernünftigen Kaffee und jederzeit einen guten Grund für die Pfeffermühle in meinem Handgepäck. Vor allem aber laufe ich eher über Höfe als durch Parks und finde das sehr lehrreich. In Heringsdorf habe ich lange überlegt, was hier so anders aussieht als gewohnt. Meer, na klar. Dünengras. Haben wir zuhause nicht. Strandpromenade. Sehr schön. Weil hier aber jeder Quadratzentimeter touristisch genutzt wird, ist kein Platz für Omagärten, in denen Essen wächst, und dazwischen Bartnelken, mit Buchs eingefasst. Vor oder hinter dem Haus. Gärten von sinnloser Schönheit, die einfach nur da sind. Wenn es groß genug für einen anständigen Omagarten ist, passt halt auch ein Haus drauf. Der Vorteil dabei ist allerdings das vollständige Fehlen von Gartenzwergen.
Friedliche Landgewinnung
Ich habe umgegraben. So weit, so unbesonders. Ich habe gegraben, wo vorher Rasen war. Meine Nachbarn finden mich komisch. „Schöner, pflegeleichter Rasen. Davon kannste doch nie genug haben!“ Doch, ich hatte genug von dem Rasen, der ständig gemäht werden wollte, andernfalls auch kein bißchen schön aussah. Ich habe nämlich Rosenkohl entdeckt. Im Supermarkt schon vor langer Zeit, im Garten aber erst in diesem Sommer. Wo Rosenkohl wächst, wächst absolut nichts anderes. Nicht mal Giersch. Rosenkohl sieht hübsch aus, schmeckt prima und braucht Platz. Den hat er jetzt. Für’s nächste Gartenjahr.
Stadtleben (1)
Die Mülltrennung verläuft wieder in geordneten Bahnen. Alle Container stehen im Hof und nicht an nur den Einheimischen bekannten Plätzen des Dorfes. Es gibt nicht den einen Tag in der Woche, an dem gelbe Säcke die Einfahrten aller bewohnten Häuser dekorieren. Mir fehlt nur mein Misthaufen. Nur noch selten brauche ich Schraubgläser und Latschen. Dafür habe ich endlich wieder Verwendung für Tüllröcke.
Dorfleben (13)
Ich erinnere mich an alle Brombeergestrüppe, in denen ich mir rote Striemen und schwarze Brombeeren geholt habe.
An der Rückseite von Uromas Garage und Bauers Plumpsklo mit Blick auf ihren Rübenacker war das schönste. Der Bauer war mein Uropa und hatte auch einen richtigen Namen. Der wurde nur nie verwendet, es hieß: Wir fahren zu Uroma und Bauer. Nicht etwa „dem Bauern“, sondern „Bauer“, weil das seinen Namen vollständig ersetzt hatte, und dass, obwohl er eigentlich mal Böttcher gelernt hat. Ihr schönstes aller Brombeergesträuche kam mir abhanden, als das Haus verkauft wurde. Samt Plumpsklo, Garage und Kreuzspinnen. Ich bin kein einziges Mal nachsehen gegangen, ob es noch da ist – es würde mir so oder so das Herz brechen.
Das zweitschönste Brombeergestrüpp wucherte am Rand eines Zeltplatzes am Oderhaff. Jeden zweiten Sommer waren wir dort. Hier wurde mir mal am Strand das Handtuch geklaut. Wir wohnten in einem ehemaligen Bauwagen, der einen sehr komfortablen Wohnwagen abgab, wenn man sich ein bisschen anstrengte. Ich schlief im Doppelstockbett oben und aß so viele Brombeeren wie ich konnte, bevor ich den anderen welche mitbrachte. Weil sehr viele Kinder auf dem Zeltplatz waren, die auch alle Brombeeren pflücken wollten, erwarb ich eine gewisse Furchtlosigkeit vor Dornen. Ich ging dahin, wo es weh tat. Den Zeltplatz habe ich nach der Wende nie wieder gesehen. Überhaupt habe ich Zeltplätze später gemieden.
Es gab und gibt noch immer ein hervorragendes Brombeergestrüpp an unserem Badesee zuhause. Ich habe ganze Sommer an diesem See verbracht, und nicht nur die Tage. Mein Handtuch lag immer in der Nähe der Brombeeren und wurde dort nie geklaut. Ich hatte dieses Brombeergestrüpp ein bisschen aus den Augen verloren, aber dieses Jahr hat es mir Fäden in die Jeans gezogen. Es gehört zu denen, die sich immer weiter ausgebreitet haben. Ich habe dort fast keine Erntekonkurrenten mehr. Die Hälfte meiner diesjährigen Brombeermarmeladen stammt von dort – gekocht auf dem Campingkocher meiner Mutter in ihrem Bungalow.
Andere Brombeerhecken fallen mir ein, die ich aber viel weniger als meine betrachtet habe. Teilen musste ich die auf unserem Hof, vom anderen Uropa gepflanzt. Ich teile ungern Essen. Eine weitere lag auf dem Weg zu meiner Schulfreundin, ich bin meist nur daran vorbei gefahren.
Aber in den letzten Jahren habe ich wieder zwei wunderbare Brombeerstellen entdeckt, und auch noch beide im selben Dorf! Ich muss jetzt wahrscheinlich hier zu wohnen kommen, damit sie mir nicht wieder verloren gehen.
Dorfleben (12)
An den heilen Stellen sieht das Dorf wie bei Petterson und Findus aus. Besonders dann, wenn die dicke rote Katze hinten am Zaun zwischen Werkzeugschuppen, Gemüsebeet und Holzkiste sitzt, unbeweglich wie ein Tontopf. Aber an den heilen Stellen hat Berlin auch Altbauten.
Dorfleben (11)
Bei Gewitter ziehen wir alle Stecker raus. Das Telefon hat kein Netz mehr. Zwischen zwei Wetterleuchten schläft das kleine Kind ein. Donner und Regen beunruhigen es nicht. „Mama, bist du noch da?“, fragt es hingegen mit seiner allerkleinsten Mäusestimme, als die Nacht wieder ruhig, klar und dunkel ist.